
„Für mich bedeutet Genesung, mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und die Kontrolle darüber nicht der Krankheit zu überlassen. Im Lauf der Jahre lernte ich, meine Krankheit vollkommen zu durchschauen, und ich entdeckte verschiedene Bewältigungsmöglichkeiten, die ich abwechselnd in Anspruch nehme: Arzneimittel, Psychotherapie, Selbsthilfe-Strategien oder Selbsthilfegruppen, die Unterstützung durch meine Freunde, mein Glaube an Gott, meine Arbeit, die Ausübung von Sport oder das Auftanken in der Natur. Lauter Maßnahmen, die mir helfen, meine Gesundheit zu erhalten und mich trotz meiner psychischen Probleme nicht zu verlieren.“ Patricia Deegan, amerikanische Psychologin, bei der im Alter von 17 Jahren Schizophrenie diagnostiziert wurde (1993)
Was ist der Unterschied zwischen „Heilung“ und „Genesung“?
Das Wort Heilung bezieht sich auf die Krankheit. Das Wort Genesung bezieht sich auf die Entwicklung des Betroffenen. Deshalb sind Heilung und Genesung zwei völlig unterschiedliche Konzepte. Heilung impliziert eine vollständige Rückkehr zum früheren Zustand des Betroffenen, d. h. man wird wieder wie „früher“.
Es ist möglich, eine psychotische Störung zu heilen, insbesondere einen akuten wahnhaften Schub und eine wahnhafte psychotische Störung, vor allem, wenn es sich um den ersten Krankheitsausbruch handelt, aber es kommt eher selten vor.
Die Genesung hingegen führt zu einem neuen Gleichgewicht, das anders ist als das Gleichgewicht, das der Betroffene vor dem Auftreten der Erkrankung kannte.
Dieser Unterschied bewirkt, dass meistens eher von Genesung als von Heilung gesprochen wird, wenn es um psychotische Störungen im Allgemeinen und um schizophrene Störungen im Besonderen geht.
Genesungsprozess
Der Genesungsprozess setzt ein, sobald sich der Betroffene seiner Krankheit bewusst wird und die Symptome kennt. Die Dauer der Bewusstwerdungsphase bzw. des Prozesses bis zur Anerkennung der Krankheit schwankt von einem Betroffenen zum anderen. Während dieses Genesungsprozesses macht jede/r in ihrem/seinem eigenen Rhythmus Fortschritte. Häufig begleitet das Umfeld den kranken Menschen bei seiner Entwicklung. Doch leider kommt es immer wieder vor, dass die betroffene Person allein ist und niemanden hat, der sie unterstützt.
Genesen bedeutet, die Auswirkungen der krankheitsbedingten Probleme verringern zu können. Es bedeutet, sich Herausforderungen zu stellen. Es bedeutet auch, ein gewisses Wohlbefinden aufrechtzuerhalten, das Selbstwertgefühl, eine zufriedenstellende Lebensqualität und eine maximale Selbstständigkeit zurückzugewinnen und einen sinnstiftenden Platz in der Gesellschaft einzunehmen.
Deshalb ist die Genesung mitunter ein langer Weg, auf dem viele Fallen lauern: Das Leiden im Zusammenhang mit einer psychotischen Störung darf auf keinen Fall verharmlost werden (weder vom Patienten selbst noch von seinen Angehörigen).
Das Umfeld kann seinen erkrankten Angehörigen nicht „gesund machen“, d. h. es kann die Genesungsarbeit nicht an seiner Stelle übernehmen. Doch es kann für günstige Bedingungen sorgen, um die Hoffnung wieder aufleben zu lassen, sein Vertrauen und sein Selbstwertgefühl zu festigen und seine Handlungsmacht zu stärken.
Von manchen Betroffenen wird die Erkrankung als Gelegenheit erfahren, sich selbst besser kennen zu lernen, sich neu zu entdecken und neue Stärken zu entwickeln, wo sich Anfälligkeiten offenbart haben.
Der Patient spielt die Hauptrolle bei seiner Genesung. Man spricht von Handlungsmacht.
Je mehr und je früher sich der Betroffene auf die Genesung einlässt, desto besser sind seine Erfolgschancen.
Was Genesung nicht bedeutet:
- Stabilisierung der Symptome oder Heilung;
- Rückkehr zum früheren Leben;
- Nichtvorhandensein einer „Behinderung“;
- wieder so werden wie alle;
- leben oder arbeiten wie jemand, der nicht von einer psychotischen Störung betroffen ist.
Was Genesung bedeutet:
- das eigene Leben wieder in den Griff bekommen;
- Ressourcen erschließen, um von den Symptomen nicht überwältigt zu werden, und dem eigenen Leben neuen Sinn verleihen;
- zu einem erfüllten und interessanten Leben zurückfinden;
- die Freude am Leben wiederfinden;
- wieder fähig sein, zu lieben und zu arbeiten;
- in der Lage sein, die Herausforderungen des Alltags zu bewältigen;
- eigene Entscheidungen treffen und ein selbstbestimmtes Leben im Einklang mit den eigenen Wünschen führen;
- Pläne verfolgen, selbst wenn die Störung immer noch vorhanden ist;
- die eigenen Verletzlichkeiten berücksichtigen und sich auf die eigenen Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen konzentrieren;
- sich wandeln, jenseits der Einschränkungen und Schwierigkeiten ungeahnte Möglichkeiten entdecken;
- das eigene Leben wieder in die Hand nehmen, durch aufgeklärte Entscheidungen Verantwortung übernehmen und dabei überschaubare Risiken eingehen;
- eine Erfahrung, die für alle möglich ist (abgesehen von den Augenblicken großer Verwirrung, in denen das Leiden überwiegt), und zur Herstellung eines neuen Gleichgewichts führt;
Dank der Genesung gelangt die betroffene Person zu einem selbst gewählten Leben im Einklang mit ihren Wünschen. Sie gewinnt ihre Handlungsmacht zurück: man spricht dann von Empowerment.
Aus der Genesung erwächst die HOFFNUNG.
„Wir brauchen jemanden, der an uns glaubt, wenn wir es selbst nicht können.“
Erfahrungsbericht, gesammelt durch den amerikanischen Psychiater Larry Davidson.