1. Stufe – Stillstand: Rückzug

Der Betroffene nimmt wahr, dass die ersten Krankheitssymptome auftreten. Er erkennt sich nicht wieder, realisiert, dass sich sein Zustand verschlechtert hat und dass er nicht mehr in derselben Weise funktioniert. Die Situation erzeugt Angst.

Diese erste Stufe, die unmittelbar auf die Diagnose folgt, ist geprägt vom Schock, von einem Verlustgefühl und von der Leugnung. Und wenn sich der Betroffene nicht behandeln lassen will, liegt das daran, dass er nicht krank sein will. In diesem Krankheitsstadium übernehmen die mobilen Gesundheitsdienste (APP: Ambulante psychiatrische Pflege) und die Anlaufstelle für Früherkennung und frühzeitige Intervention (SDIP) eine wichtige Aufgabe, indem sie die Betroffenen und ihre Angehörigen in ihrem eigenen Umfeld betreuen.

„Genesung bedeutet für mich nicht nur, zu akzeptieren, was mir im Leben widerfahren ist und was ich getan habe, und meine Schattenseiten anzunehmen, sondern auch, zu erkennen, dass meine Erfahrungen mich als Individuum haben wachsen lassen. Als ich meinen Blick auf diese Erfahrungen verändert und sie als Wachstumschance begriffen habe, wurden sie zu Inspirationsquellen für meine Genesung. Jetzt kann ich entspannt zurückblicken, da ich weiß, dass alles, was mir widerfahren ist, dazu beigetragen hat, dass ich zu dem Menschen wurde, der ich heute bin.“

Reeves, A. (1998): Recovery. A holistic approach. Runcorn: Handsell Publishing

2. Stufe: BEWUSSTWERDUNG

Der Betroffene informiert sich, um seine Symptome und die Erkrankung zu verstehen. Er nimmt wahr, was ihm widerfährt und erkennt, dass er sich dadurch nicht entmutigen lassen darf. Ein Prozess des Abschiednehmens vom Leben vor der Erkrankung setzt ein. Das verursacht Stress und löst Traurigkeit aus. In diesem Stadium besteht ein erheblicher Unterstützungsbedarf. Zu diesem Zeitpunkt sollte mit der (individuellen oder familiären) Psychoedukation begonnen, über die Genesung gesprochen und neue Hoffnung vermittelt werden.

3. Stufe: VORBEREITUNG

Der Betroffene setzt sich mit dem Einfluss der Erkrankung auf sein Leben auseinander. Allmählich begreift er, dass sich sein Leben ändern kann, und akzeptiert, dass die Erkrankung es beeinflusst, aber nicht bestimmt. Er erkennt seine Stärken und Schwächen, Lösungen erschließen sich, und Strategien zur Krankheitsbewältigung entstehen.

In diesem Stadium ist es hilfreich, mit einer kognitiven Verhaltenstherapie zu beginnen, und begleitend zur medikamentösen Behandlung an der Sozialkompetenz zu arbeiten.

Auf dieser dritten Stufe gewinnt der Betroffene wieder Selbstvertrauen.

„Die Genesung ist ein einzigartiger Prozess, der einsetzt, sobald der Betroffene beschließt, der Krankheit nicht mehr die Kontrolle über sein ganzes Leben zu überlassen. Es handelt sich dabei um die Wiederentdeckung der eigenen Persönlichkeit, der eigenen Fähigkeiten und Träume und die gleichzeitige Erschließung neuer Möglichkeiten, die stärker sind als krankheitsbedingte Einschränkungen und Symptome: Es handelt sich um die Hoffnung auf ein besseres Leben.“

Nathalie Lagueux, Sozialarbeiterin, Dozentin des Fachbereichs Psychische Gesundheit und Autorin (2007)

4. Stufe: WIEDERHERSTELLUNG

Dabei handelt es sich um eine wichtige Stufe für die Genesung.

Der Patient wird aktiv und übernimmt die Kontrolle über sein Leben. Mithilfe der auf Stufe 3 gewonnenen Erkenntnisse definiert er neue Lebensziele und geht das Risiko ein, nicht jedes zuvor festgelegte Ziel zu erreichen.

In diesem Stadium stärkt der Patient seine Autonomie. Er entdeckt neue Aspekte an sich selbst, entwickelt neue Kompetenzen und traut sich, die Komfortzone zu verlassen. Selbst wenn es mitunter schwierig ist, zu erkennen, wie diese Änderungen zu bewerkstelligen sind, bleibt die Motivation bestehen. Das ist der richtige Zeitpunkt, entweder eine neue Ausbildung zu beginnen bzw. eine neue Arbeitsstelle anzutreten oder eine bisher unbekannte Tätigkeit auszuprobieren oder eine neue soziale Rolle zu entdecken. Dabei benötigt der Betroffene immer noch die Unterstützung seines Umfeldes, des Betreuungsteams und des Sozialdienstes. Der bis zu dieser 4. Stufe zurückgelegte Weg stärkt das Selbstwertgefühl und hält die Hoffnung lebendig.

„Die Genesung ist ein sehr persönlicher und einzigartiger Prozess, dessen Ziel in einem Wandel der eigenen Einstellungen, Werte, Gefühle, Ziele, Fähigkeiten und Rollen besteht. Sie stellt einen Weg zu einem erfüllten, hoffnungsvollen und produktiven Leben trotz der krankheitsbedingten Einschränkungen dar.

Je mehr es dem Betroffenen während der Genesung gelingt, die katastrophalen Auswirkungen der psychischen Erkrankung zu überwinden, desto mehr verleiht er seinem Leben einen neuen Sinn und eine neue Ausrichtung…“

Professor William (Bill) Anthony, Begründer des Ansatzes der individuellen Rehabilitation (IRB) an der Universität Boston (BU) (1993

5. Stufe: WACHSTUM

Der Patient nimmt wieder seinen Platz in der Gesellschaft ein und beteiligt sich an verschiedenen Projekten. Er strebt kontinuierlich die Verwirklichung seiner Ziele an, stärkt seine Autonomie und lässt sich uneingeschränkt auf sein Leben ein.

Er bewältigt die Krankheit, und selbst wenn manche Symptome anhalten, glaubt er an seine Fähigkeiten und festigt sein Selbstvertrauen. Unabhängig von den Umständen ist er mit sich selbst im Reinen.