Ingrid Bayot ist seit über 20 Jahren als Hebamme und zugelassene Ausbilderin in den Bereichen Stillberatung und Postnatale Adaptation tätig. Unter anderem ist sie Autorin des 2004 erschienen Buches „Parents futés, bébé ravi“.

Das erste Quartal nach der Geburt ist für Sie von entscheidender Bedeutung, aber niemand spricht davon: Woran liegt das?

Viele Frauen stellen sich die Geburt als riesigen Berg vor, den es zu bezwingen gilt. Was danach kommt, verschwimmt in einem bonbonrosa angehauchten Nebel. Doch die großen Veränderungen des Lebens treten erst nach der Entbindung ein. Der Realitätsschock, der Alltag mit einem Baby kann überfordern. Junge Mütter wissen in der Regel wenig über die physiologische und emotionale Anpassung des Babys, und all das Gerede, demzufolge es nichts weiter als ein entweder zufriedenes oder unzufriedenes Verdauungssystem ist, hilft auch nicht weiter.

Die medizinischen Fachkräfte konzentrieren sich vollkommen auf die Entbindung, da sie ein aufregendes und potenziell riskantes Ereignis darstellt, nicht aber auf „das Danach“, weil sie dem Irrtum erliegen, dass sich nach der Geburt alles von selbst regelt. Hierfür genügt es, die vor und nach der Geburt angebotenen Leistungen zu vergleichen. Doch in dieser „nachgeburtlichen Phase“ passiert einiges.

Was geschieht in diesen drei Monaten?

Ich gehe vor allem auf die Frau ein, die gerade ein Kind geboren hat. Auf körperlicher Ebene sind zwei Phänomene vorherrschend. Eines davon ist die Laktation, sofern die Mutter sich für das Stillen entschieden hat. Das Wissen über das Stillen und die Stillbegleitung haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich weiter entwickelt. Doch das trifft leider nicht auf das zweite Phänomen zu: Den Abbau der Strukturen, die der Körper entwickelt hat, damit ein Baby bis zum Ende der Schwangerschaft getragen werden kann, und die Neuanpassung der physiologischen Funktionen an einen nicht-schwangeren Zustand. Während der Schwangerschaft hat sich der mütterliche Körper nämlich umgewandelt, um in der Lage zu sein, einen rasant wachsenden Organismus zu tragen, zu ernähren, mit Sauerstoff zu versorgen, von Stoffwechselabfällen zu befreien und zu schützen: Aus zwei Zellen entsteht ein fertiges Baby. Allein die Vorstellung ist unglaublich! Alle Funktionen des mütterlichen Körpers haben sich angepasst: Der Blutkreislauf, die Atmung, die Verdauungs- und Stoffwechselfunktion, die Statik und das Gleichgewicht usw.

Wenn die Mutter entbunden hat, ist sie nicht mehr „mit dem Baby schwanger“, aber ihr ganzer Körper befindet sich noch „im Schwangerschaftsmodus“ und die Entwicklung eines neuen Gleichgewichts wird sechs Wochen bis drei Monate in Anspruch nehmen. Im Übrigen begünstigt das Stillen diese Vorgänge, insbesondere, was den mütterlichen Schlaf betrifft: Prolaktin, eines der Stillhormone, intensiviert den Tiefschlaf und folglich die Erholung und die Zellerneuerung.

In unserer Kultur wird diese Phase des weiblichen Körpers verdrängt, sowohl von den Betroffenen selbst als auch kollektiv. Das Ideal von der „Rückkehr zum Mädchenkörper“ wird aufgebaut und mit der Aufforderung zur Schnelligkeit kombiniert: Dieser Körper, der den üblichen Vorstellungen von Attraktivität und den Klischees der Werbung in keiner Weise entspricht, sollte so rasch wie möglich überwunden werden!

Für diese Phase des weiblichen Körpers gibt es nicht einmal eine Bezeichnung. Ich schlage das Wort „Nachschwangerschaft“ vor, um sie zu benennen, um ihre Beschreibung und ihre Anerkennung zu ermöglichen. Dieser Körper, der so viel geleistet hat, dieser Körper, der das Baby immer noch vollständig ernährt, unternimmt enorme Anstrengungen, um ein neues physiologisches Gleichgewicht zu entwickeln. Wie können wir ihm liebevoll, wohlwollend, respektvoll und dankbar begegnen?

Das ist in mehrfacher Hinsicht dringend erforderlich, zumal es auch auf der Gefühls- und Beziehungsebene und auf sozialer Ebene einiges zu bewältigen gilt: Die Adaptation des Babys insgesamt, der Aufbau bzw. die Festigung der Bindungsbeziehung, die Entwicklung der Elternkompetenz, die Umstellung in der Partnerschaft, die Integration der neuen Identität, die Neupositionierung innerhalb der Generationen… Was für eine Baustelle!

Die Mutter denkt, sie befände sich im Mutterschaftsurlaub, dabei erfüllt sie mehrere Aufgaben gleichzeitig, von denen jede einzelne unendlich viel Energie kostet: Nachschwangerschaft, Laktation (Produktion der Milch), Stillen (Ernährung des Babys), Pflege des Babys. Und trotzdem haben so viele von ihnen ein schlechtes Gewissen, weil es ihnen nicht gelingt, den übrigen Alltag genauso zu bewältigen wie früher. Es ist wirklich dringend erforderlich, alle Beteiligten für die Notwendigkeit der konkreten Unterstützung junger Mütter zu sensibilisieren. Ich habe ein Buch der richtigen Geschenke zur Geburt zusammengestellt (einsehbar auf der unten angegebenen Seite), um den Müttern zu helfen, sich ihre Bedürfnisse bewusst zu machen und ihnen die Bitte um Unterstützung zu erleichtern. Dazu kann Folgendes gehören: Das Lieblingsdessert besorgen, einen gemeinsamen Spaziergang unternehmen, eine Massage anbieten, die Großen zur Schule bringen, kochen, gemeinsam einkaufen gehen. Kurz gesagt, alles, was dazu dient, Zeit zu gewinnen, was zu ihrem Wohlbefinden beitragen kann. Da das Leben schon genügend Anforderungen enthält, sollten keine weiteren hinzugefügt werden. Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für einen tadellosen Haushalt, einen Umzug oder eine Doktorarbeit usw.

Spricht man auch von einem 4. Quartal bei Männern?

Ja, es gibt ein viertes Quartal bei Männern, ebenso wie es auch die „Schwangerschaft“ oder die Erwartung des Papas gibt, diese Phase des inneren Reifens, des Miteinanders mit der Partnerin und der Vorbereitung, der Veränderungen und Umstellungen. Werdende Väter bauen das Nest auf ihre Weise.

Was Männer im Lauf dieser 4 Quartale erleben und empfinden, beruht nicht auf denselben biologischen Grundlagen wie bei ihrer Partnerin, doch auf emotionaler, materieller und sozialer Ebene gibt es viele Gemeinsamkeiten. Eltern werden ist eine gewaltige Veränderung, die nicht mehr rückgängig zu machen ist, eine Verpflichtung für das ganze Leben. Zumindest, wenn man sich darauf einlässt…

In der ersten Zeit nach der Geburt erleben die Papas ebenfalls eine intensive Phase der Anpassung, der Umstellungen, der Improvisation, der Suche. Ihre soziale Identität erweitert sich, und ihr Platz innerhalb der Generationen ebenso. Sie entbinden eine neue Dimension von sich selbst. Eine wahre Geburt…

Wenn die Frauen die Phasen ihres Körpers und ihrer Befindlichkeit besser zulassen können, sind sie in der Lage, sich ihrem Partner besser mitteilen. Wenn Sie ihre Bedürfnisse besser kennen, können sie eindeutigere Bitten äußern. Für Mamas, die ständig die Bedürfnisse ihres Babys erraten müssen, ist es manchmal schwer zu akzeptieren, dass ihr Schatz nicht die ihren errät! Männer mit gutem Willen möchten helfen und sich nützlich machen. Sie wissen eindeutige Bitten und den Ausdruck von Dankbarkeit zu schätzen.

Ein altes, kulturell bedingtes Vorurteil verbreitet immer noch die Vorstellung, dass das Stillen den Papa vom Umgang mit seinem Baby ausschließt. Wie schade! Das Baby ist kein Verdauungstrakt. Es braucht ebenso die emotionale Ernährung durch beide Eltern, über den Hautkontakt, das Wiegen, Baden, Singen, Spaziergänge, Schmusen, Blicke… Diese Interaktionen aktivieren seine Neugier und tragen zu seiner Entwicklung bei. Der Papa nährt sein Kind auf der sensorischen Ebene und auf der Beziehungsebene, ohne den Umweg über die leibliche Ernährung. Was für eine Chance, was für eine Vielfalt in den Beziehungen!

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Verfasst von Frau Ingrid Bayot