Der Platz des Kindes innerhalb der Geschwisterkonstellation kann für die Entwicklung seiner Persönlichkeit ausschlaggebend sein.
Auch der Altersunterschied zwischen zwei Kindern ist von Bedeutung. Wenn er 6 Jahre oder mehr beträgt, besteht zweifellos weniger Vertrautheit zwischen den beiden Kindern, selbst wenn es hier keine Gesetzmäßigkeiten gibt. Sie haben nicht dieselben Interessen und machen ihre Erfahrungen zu unterschiedlichen Zeiten (Pubertät, Studium usw.). Dennoch gibt es schöne gemeinsame Erlebnisse, und häufig wird der/die Ältere zum/zur Beschützer(in) des/der Jüngeren.
Erstgeborene(r), Sandwichkind, Nesthäkchen oder Einzelkind, alle diese Positionen innerhalb der Familie sind prägend, selbst wenn alle Kinder dieselben Eltern haben und im selben Umfeld aufwachsen. Soziale Gruppen spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Persönlichkeit, doch der erste Lebensrahmen des Kindes ist die Familie.
Durch Konflikte und Auseinandersetzungen unter Geschwistern findet das Kind seinen Platz, und wenn beispielsweise die Rolle des „Vernünftigen“ (der/die Erstgeborene) schon besetzt ist, sucht und findet es eine andere Rolle. Die Jüngeren neigen deshalb dazu, sich anhand des ihnen verbleibenden „Raumes“ zu definieren. Konflikte und Konkurrenzkämpfe werden in den Familien entsprechend dem jeweiligen Platz innerhalb der Geschwisterfolge auf dieselbe Weise ausgetragen. So bilden sich die Charakterzüge in Verbindung mit einem Rang in der Familie heraus. Ungefähr im Alter von 4 bis 6 Jahren formt sich die Persönlichkeit auf der Grundlage dieser Position.
Der Platz des/der Erstgeborenen
Der/die Erstgeborene ist nicht das „Lieblingskind“, nimmt aber dennoch im Herzen seiner Eltern einen besonderen Platz ein. Mit ihm/ihr entsteht die Familie, durch ihn/sie wird das Ehepaar zum Elternpaar. Er/sie erhält die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Eltern, die im Gegenzug auch hohe Erwartungen an ihn/sie richten. Deshalb entwickelt das älteste Kind möglicherweise einen Hang zum Ehrgeiz und zum Perfektionismus.
Als Älteste(r) unter den Geschwistern ist der/die Erstgeborene mit hoher Wahrscheinlichkeit der/die Vernünftigste, und die Eltern neigen häufig dazu, ihm/ihr mehr Aufgaben zu übertragen als den anderen. Wenn der der Ehrgeiz des Erstgeborenen sehr stark ist, kann es sein, dass er/sie Angst hat, Fehler zu machen. In diesem Fall wählt er/sie vorzugsweise den sichersten Weg, der ihm die meisten Erfolgschancen bietet.
Der Platz des/der Zweitgeborenen
Der Platz des/der Zweitgeborenen kann sich sehr unterschiedlich gestalten, in Abhängigkeit davon, ob es bei zwei Kindern bleibt oder ob später noch mehr Kinder dazu kommen. Sein/ihr Charakter ähnelt eher der Persönlichkeitsstruktur des Sandwichkindes.
Häufig wird er/sie als unberechenbar beschrieben. Er/sie ist der Freigeist der Familie und neigt am meisten dazu, die Geschwister zu ärgern. Das zweite Kind sucht in der Regel seinen Platz zwischen einem/einer Erstgeborenen, dessen/deren Anweisungen er nicht anerkennt, vor allem, wenn der Altersunterschied gering ist, und dem/der oder den Jüngeren, an denen er sich „rächt“. Je geringer der Altersunterschied zwischen dem/der Erstgeborenen und dem/der Zweitgeborenen sind, desto ambivalenter ist ihre Beziehung: Sie zeichnet sich aus durch einen Wechsel zwischen Phasen heftiger Rivalität und Zeiten des ungetrübten Einvernehmens, vor allem wenn sie dasselbe Geschlecht haben. In der Regel lernt der/die Zweite schnell, sich anzupassen, da er/sie vom Lebensrhythmus des/der Älteren mitgerissen wird.
Das Sandwichkind
Das Sandwichkind fühlt sich möglicherweise benachteiligt gegenüber dem/der Erstgeborenen und dem Nesthäkchen, denen man viel mehr Aufmerksamkeit schenkt. Es lernt deshalb, seinen Weg zu gehen und möglichst wenig Unterstützung einzufordern.
Aus diesem Grund werden Sandwichkinder häufig als sehr geschickt beschrieben. Da sie nicht immer auf den älteren Bruder /die ältere Schwester zählen können und die Unterstützung der Eltern nicht immer erwarten können, da diese mehr mit dem Nesthäkchen beschäftigt sind, neigen sie dazu, sich ihren Freunden zuzuwenden, die für sie eine zentrale Bedeutung haben.
Wenn sie sich über ihre unbequeme Situation beklagen, übersehen sie, dass diese ihnen die Möglichkeit bietet, zu ausgleichenden und kompromissbereiten Erwachsenen zu werden. Wenn das Sandwichkind die Gerechtigkeit liebt, liegt das daran, dass es von klein auf die Erfahrung macht, dass das Leben ihm gegenüber ungerecht ist: Der/die Erstgeborene genießt mehr Vorrechte, und der/die Letztgeborene wird mehr verwöhnt. Frühzeitig übt es sich in Widerstandsfähigkeit, beklagt sich selten, aber erweist sich häufig als eigensinnig. Das Sandwichkind ist umgänglich, denn es hat gelernt, sich anzupassen, sei es an die unterschiedlichen Persönlichkeiten seines Umfeldes oder an die verschiedenen Altersstufen seiner Geschwister.
Der Platz des Nesthäkchens
Schmeichler, Manipulant, Hätschelkind?
Das „Nesthäkchen“ wird angesichts seines Rangs in der Geschwisterkonstellation häufig auf Klischees reduziert.
Oft wird behauptet, dass das Nesthäkchen es viel leichter hat, weil die älteren Geschwister ihm den Weg geebnet haben, und die Eltern „schon gut erzogen“ sind.
Doch das Nesthäkchen erhält zweifellos nicht immer die erwartete Anerkennung für seine erste Zeichnung oder seine ersten guten Noten in der Schule. Auf diese Weise gewöhnt es sich an, den Beispielen der anderen zu folgen und neigt häufig dazu, wenige Entscheidungen zu treffen. Seinen Eltern und älteren Geschwistern fällt es schwer, zu erleben – oder zuzulassen -, dass „der/die Kleine“ groß wird.
Doch wenn er/sie etwas will, bekommt er/sie es. Er/sie setzt seine/ihre Fähigkeiten als „Schmeichler“ und „Manipulant“ ein, in der Hoffnung, dass ein Erwachsener oder ein älterer Bruder/eine ältere Schwester seinem/ihrem Charme erliegt. Da vom Nesthäkchen erwartet wird, dass es „klein“ bleibt, muss es das Gegenteil beweisen, was zur Antriebskraft werden kann.
Das Einzelkind
Das Einzelkind bildet ein Trio mit seinen Eltern. Dieses Monopol der Zuwendung bringt ihm einen bedeutenden Nutzen: Ein meist stabiles und sicheres Selbstwertgefühl. Doch gleichzeitig ist die Angst zu enttäuschen sehr viel präsenter.
Da das Einzelkind mehr Selbstvertrauen besitzt, drückt es sich häufig besser aus als seine Altersgenossen, und indem es sich an den Gesprächen der Erwachsenen beteiligt, entfaltet es seinen Intellekt auf bemerkenswerte Weise.
Doch das Einzelkind lebt ohne Identifikationsfigur. Wenn es mitunter unflexibel ist, liegt das daran, dass es selten mit Einschränkungen konfrontiert wird, wie z. B. mit der Anforderung, seine Eltern oder auch nur das Bad zu teilen oder oder bei der Auswahl des Fernsehprogramms Kompromisse einzugehen. Der Kontakt zu Gleichaltrigen ist für das Einzelkind umso wichtiger, denn die Einsamkeit, die oft von diesen Kindern beklagt wird, ist für viele von ihnen schwer auszuhalten.
Zwillinge
Zwillinge sind Kinder wie andere auch und, wie alle Geschwister, haben auch Zwillinge ihre individuellen Bedürfnisse, ihre Eigenheiten, ihre Wünsche.
Wenn man sich mit Erzählungen über Zwillinge befasst, kann man häufig unglaubliche Geschichten lesen, wie z. B. den Bericht jenes Zwillings, der einen Autounfall hatte und dessen Bruder Hunderte von Kilometern entfernt genau an der Stelle, an der der andere verletzt worden war, einen Schmerz fühlte. Zufall?
Wahrscheinlich, denn die Ergebnisse der Studien zu diesem Thema sind nicht besonders aussagekräftig und können den Zufall nie ganz ausschließen. Es stimmt, dass eineiige Zwillinge eine ausgeprägtere kognitive Sensibilität aufweisen als zweieiige Zwillinge oder jedes sonstige Individuum.
Eine Hypothese bleibt jedoch bestehen:
Eineiige Zwillinge besitzen exakt dieselben Gene, was eine starke Nähe zwischen ihnen erklärt und diese gefühlsmäßige Verbundenheit begünstigt. Deshalb könnte man glauben, dass die Gene die Hauptantriebskraft der Psyche darstellen, doch es gibt gegenteilige Beobachtungen, die den entscheidenden Einfluss des Umfelds und der Erziehung auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern bestätigen.
Jedes Kind strebt danach, das Maximum von seinen Eltern zu erhalten, indem es von Geburt an und sogar davor ihre Aufmerksamkeit und Liebe für sich beansprucht. Dieser Umstand erweist sich für die soziale Entwicklung von Zwillingen als hilfreich, da diese frühe Rivalität sich später durch einen besseren Umgang mit Eifersucht und durch eine leichtere Gefühlskontrolle im Allgemeinen äußert.
Es fällt auf, dass Zwillinge früher lernen, mit ihren Geschwistern zu teilen. Dagegen fällt ihnen das „Teilen“ der Eltern sehr schwer, was dieser kleine Satz, der bei Zwillingseltern wohlbekannt ist, veranschaulicht: „Das ist meine Mama, nicht deine!!!“
Für Eltern stellt diese ständige Rivalität häufig eine große Herausforderung dar. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, seine Kinder nicht miteinander zu vergleichen und nicht nur demjenigen zuzuhören, der am lautesten schreit.
Indem sie sehr wohl zwischen den beiden Kindern unterscheiden (Zimmereinrichtung, Kleider, Aktivitäten…) und sich einzeln an jedes von ihnen wenden, unterstützen Eltern die Entwicklung des Selbstvertrauens jedes einzelnen Kindes am besten.
Es ist wichtig, jedem Zwilling Zeit zu widmen, d. h. jeder Elternteil sollte sich um jedes Kind kümmern. Wenn Sie Zwillinge haben, z. B. einen Jungen und ein Mädchen, sollte Papa sich für das kleine Mädchen Zeit nehmen und Mama sich dem Jungen widmen und später umgekehrt, ohne dass einer gegenüber dem anderen bevorzugt wird.